Zertifikate und Biopiraterie – auch bei indigenen Heiler/innen in Mexiko ein umstrittenes Thema
Qualitätssicherung in einer globalisierten Welt:
von Lissy Schonauer-Schütz, Lachesis e.V., Berufsverband für Heilpraktikerinnen
Vom 21. – 24. Mai 2009 fand die 45. Lachesis-Verbandstagung „Heilen und heil werden“ statt, eine Begegnung von indigenen und europäischen Heilweisen. Heilerinnen der Maya-Kultur in Chiapas, einer abgelegenen Bergregion in Mexiko, und Heilpraktikerinnen aus Deutschland trafen sich zum interkulturellen Erfahrungsaustausch.
Die Arbeit dieser Heilerinnen in Mexiko ist eingebunden in ein von den Indigenas aufgebautes Zentrum für traditionelle indianische Medizin. Dieses Zentrum wurde von ihnen gegründet, um das Wissen über diese Medizin zu bewahren und weiter zu entwickeln. Die Medizin der Tzeltal- und Tzotzil-Indigenas beruht auf tausendjähriger Erfahrung und ausgiebigem Kontakt zwischen Mensch und Natur. Es ist ein ganzheitlicher Therapieansatz, der den Körper, die Seele und die Regeln der Gemeinschaft mit einbezieht. Heute existieren dort fünf verschieden Bereiche: Heiler/in, die den Puls fühlt; Heiler/in, die in den Bergen betet; Heiler/in, die die Knochen kennt; Heiler/in, die die Pflanzen kennt, und die Hebamme.
Neben dem interessanten fachlichen Austausch wurde auf dem Treffen auch über das Thema Qualitätssicherung gesprochen. An dem Beispiel der Hebammen und der Pflanzenheilkundigen in Mexiko wurde deutlich, wie die Globalisierung alle Gebiete der Welt trifft.
Die staatliche Gesundheitsversorgung in dieser Region ist im Allgemeinen schlecht. Um diese zu verbessern hat die Regierung angefangen, eine zertifizierte Hebammen-Ausbildung anzubieten. Diese Ausbildung greift einerseits Teilaspekte aus dem ganzheitlichen Ansatz der traditionellen Medizin auf und vermittelt andererseits schulmedizinisches Wissen. Die schwangeren Frauen bevorzugen die zertifizierten Hebammen, da sie das Zertifikat als Qualitätsmerkmal ansehen. Nun ist die Zahl der Komplikationen seit Einführung des Zertifikats gestiegen. Bei der empirischen Erhebung der Zahlen wird aber kein Unterschied gemacht, ob die Schwangere von einer zertifizierten oder traditionellen
Hebamme begleitet worden ist. Die traditionellen Hebammen fühlen sich zu Unrecht in Misskredit gebracht. Denn was bedeutet die Zertifizierung: Es liegt der Verdacht nahe, dass es nur um die Festschreibung eines Minimalstandards geht – sicher notwendig – aber eben nur das Minimum an hygienischem und medizinischem Wissen – wobei die westlich orientierte Schulmedizin das Minimum festlegt. Die Erfahrung durch das praktische Lernen bei der traditionellen Hebamme, welches viel Wissen über die Geburtshilfe hinaus vermittelt, wird bei den Zertifikaten kaum oder nur unzureichend berücksichtigt. Auch aus diesem Grund haben sie sich zusammen geschlossen, um in dem Zentrum den ganzheitlichen Aspekt der traditionellen Heilweise der Bevölkerung nahe zu
bringen und die Wertschätzung der eigenen Kultur und Tradition zu erhalten. Ein weiteres Beispiel für den mangelnden Respekt und die geringe Beachtung von Zusammenhängen ist die Vereinnahmung des indigenen Pflanzenwissens durch die westlich orientierte Medizin. Die pflanzenheilkundigen Frauen berichteten uns, dass die zur Heilung benötigten Pflanzen jeweils frischgeerntet werden. Die Ernte erfolgt mit Achtsamkeit und unter Berücksichtigung des Naturschutzes. In den letzten Jahren sind in die Bergregionen Vertreter aus europäischen Ländern gekommen, um dort Pflanzen sammeln und in Monokulturen anbauen zu lassen, die in Europa als Heilmittel Verwendung finden. Diese Biopiraterie gipfelt darin, dass die Firmen für diese Pflanzen Patente angemeldet haben. Das heißt, dass die Bevölkerung vor Ort zwar wie bisher die Pflanzen sammeln kann, doch rechtlich ist es ihnen nicht mehr gestattet, daraus Arzneimittel herzustellen und in der Heilkunde einzusetzen. Den Indigenas ist dies unvorstellbar. In ihrem Zentrum schließen sie sich auch zusammen, um dieser Biopiraterie entgegen zu treten.
Während der Tagung drängten sich uns als Heilpraktikerinnen und Vertreterinnen der Naturheilkunde in Europa immer wieder Parallelen zu unserer Geschichte und derzeitigen politischen Situation auf. Dort wie hier geht es um den Schutz traditioneller Heilweisen und die Erhaltung der Therapiefreiheit.
Ebenfalls sind die Parallelen zur Qualitäts- und Zertifizierungsdebatte erstaunlich, obwohl die kulturellen und sozialen Grundlagen so unterschiedlich sind. Unsere Fragen sind sich ähnlich: Bietet Zertifizierung Qualität? Wer wird geschützt: Patient/innen oder bestimmte Therapieansätze? Wer hat Zugang zu welchen Heilmitteln, welche Beschränkungen werden auferlegt, wer hat die Definitionsmacht?
Bisher hat die Einführung von Standards in der Regel zur Reduzierung auf nach Maßstäben der evidenzbasierten Medizin überprüfbares Wissen geführt. Bei aller Berechtigung, eine Diskussion zu Qualitätssicherung zu führen und Kriterien für Qualität festzulegen, müssen wir offen bleiben für die Ganzheitlichkeit des Heilungsprozesses – das ist unsere Stärke.
Mehr Infos unter www.lachesis.de