Genesis2021 - eine Europäische Gesundheitsunion entsteht…
von Nora Laubstein
Am Anfang war der „neue Green Deal“. Die neue EU-Kommissionspräsidentin wählte in ihrer Antrittsrede 2019 wohlklingenden Worte wie die „Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen“, ein „neuer Aufbruch zum Klimaschutz“, eine „gerechtere Landwirtschaftspolitik“ und damit verbunden, das Schlagwort von der „Gesundheit in allen Politikbereichen“. Ahnte Ursula von der Leyen was drei Monate nach ihrer Antrittsrede geschehen würde? Das kleine Virus Covid verwandelte viele Pläne in Notfallpläne, veränderte Haushaltspläne, Lebensweisen und Reisefreiheiten. Bereits der letzte EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hatte bei seiner Abschiedsrede klare Prioritäten formuliert: Impfungen, Bekämpfung der Antibiotikum-Resistenzen und Infektionsschutz – das sind die Bausteine der europaweiten Primär-Prävention!
Garniert wird dieser Strauß von Maßnahmen mit dem „Kampf-dem-Krebs-Plan“, der „Digitalen Gesundheit“ und der „Beseitigung von Ungleichheiten“. Dann trat Vytenis Andriukaitis nach fünf Jahren ab, und Stella Kyriakidis übernahm das Amt.
Die neue Kommissarin trat ihre Stelle im Herbst 2019 an, vor der Covid-Pandemie. Das neue EU-Budget für den Gesundheitsbereich war dramatisch zusammengestrichen worden. Gesundheit ist Ländersache sprachen die Nationalstaaten. Doch in Zusammenhang mit der Pandemie änderte sich die Situation: Gemeinsam der Gefahr begegnen, gemeinsam in die Impfstoffe investieren. Daraus entstand der Wunsch nach einer neuen Pharmastrategie, die zügig in die Wege geleitet wurde.
Nach den zähen Haushaltsverhandlungen steht der EU-Kommission nun ein noch nie da gewesener Finanztopf in Höhe von 5,1 Billionen Euro zur Verfügung. In erster Linie sollen die Ausgaben zur Bekämpfung der Pandemie und deren Folgen verwendet werden. Dabei stellten die Verantwortlichen gewaltige Defizite in Verwaltung und Richtlinienkompetenz fest.
Getreu den Nachhaltigkeitszielen und dem Slogan „Gesundheit in allen Politikbereichen“ werden nunmehr auf streng wissenschaftlicher Grundlage seit November 2020 die Umbaumaßnahmen hin zu einer Europäischen Gesundheitsunion eingeleitet.
Ganz konkret bedeutet dies den Aufbau einer übergeordneten Instanz, genannt HERA = HEALTH EMERGENCY PREPAREDNESS AND RESPONSE AUTHORITY. Diese neue Behörde koordiniert die Arbeit von drei EU-Agenturen: der ECDC in Stockholm (Notfallmedizin+Infektionskrankheiten), der EMA in Amsterdam (Arzneimittel und Medizinprodukte) und der seit 1. April dieses Jahres im Aufbau begriffenen HaDEA (Personenbezogene Gesundheitsdaten und Digitalisierung).
Die Zusammenarbeit mit den Nationalstaaten verläuft hier fließend: Die Agenturen auf europäischer Ebene haben in jedem Mitgliedsland ein nationales Pedant, eine Behörde oder ein Ministerium. Die nationalen Gesundheitsminister sitzen in der Runde der EU-Ratsminister zusammen und bestimmen so die Entwicklung der neuen Europäischen Gesundheitsunion.
Ganz oben auf der Agenda steht neben der Pandemiebekämpfung via Impfstoff die schöne neue Welt der Digitalisierung. Die Webinare der EU-Kommission, des Generaldirektorates und der politisch Aktiven quellen über mit digitalen Formaten für „Online-Doktor“, Online-Apps für Notfälle, Umschulungen zum Online-Gesundheitsberufler*in oder Online-Selbsthilfegruppen. Die staatlichen Gesundheitswirtschaftssysteme fordern digitale Konzepte für Impfausweise, Gesundheitskarten der Krankenkassen und digitale Selbstkontrollsysteme mit Bonusoptionen.
Eine gewachsene personenbezogene Arzt-Patientenbindung gilt bereits heute als zu subjektiv, daher unwissenschaftlich und daher als potentielle Gefahr. Die Europäische Kommission veröffentlichte im Februar 2000 eine Mitteilung zur generellen Anwendung des Vorsorgeprinzips, in der dieses Prinzip definiert wird und das mittlerweile alle Bereiche der staatlichen Gesundheitsversorgung durchzieht. Dokumentation, Zertifizierung, Wirksamkeitsnachweis und Kosten-Nutzen-Analyse dienen einem Ziel: Sicherheit – angeblich für die Patientinnen und Patienten, meist jedoch zur Absicherung von wirtschaftlichen Akteuren. Letztendlich bleibt ein erkrankter Mensch auf sich gestellt, beziehungsweise: Andere Behandlungswege müssen selbst bezahlt werden!
Die Europäische Gesundheitsunion wird vermutlich zum Startschuss für eine Renovierung der gesamten Europäischen Union werden. Die Begriffe „Nachhaltigkeit“, “personenbezogen“, “Prävention“, “Gesundheitsförderung“, “Zugang zu Arzneimitteln“, „ Kompetenz“, „Wissenschaft“, ja selbst „Ganzheitlichkeit“ wurden schon im Sinne wirtschaftlicher Interessen in die neuen Richtlinien eingearbeitet und damit inhaltlich umgedeutet.
Was bleibt? Übrig bleiben so altmodische Dinge wie „Erfahrung“, „Empathie“, „Spiritualität“, „therapeutische Freiheit“ oder „individueller Ansatz“, die künftig durchaus als gefährlich eingestuft werden könnten. Gerade eine Zeit der ausgerufenen Pandemie holt die Gespenster des Kontrollwahns hervor: Bürokratie, Paragraphen statt Leben, die „richtige“ Einstellung, die Macht des Stärkeren, Angst und psychische Belastung.
Die Digitalisierung ermöglicht neben den liebgewordenen Möglichkeiten bestimmten Interessensgruppen einfach ALLES – und wie die Vergangenheit zeigt, kommt es darauf an, wer die Technologie in die Hand bekommt, und wie diese Person damit umgeht…