„Historische Perspektiven auf Entstehung und Folgen des Heilpraktikergesetzes von 1939“
Symposium am 03.12.24 in der Berliner Charité
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, eröffnete diese von ihm inhaltlich und finanziell getragene Veranstaltung. Herr Dr. Klein hatte sich im Zuge der Pandemie kritisch zum Beruf des Heilpraktikers geäußert. In einem Zeitungsinterview hatte er eine grundsätzliche Nähe zu rechtem Gedankengut und einer grundsätzlichen antisemitischen Haltung des Berufsstandes beklagt und öffentlich vertreten. Das Symposium sollte seine These, dass diese unterstellte Haltung deutscher Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen allein durch die "Legalisierung" des HP-Berufes durch den NS- Staat belegt sei, bestätigen.
Als versierte Referent*innen hatte Herr Dr. Klein mehrere Medizinhistoriker*innen und einen Juristen geladen. Erst aufgrund eigener Initiative wurde Frau Ursula Hilpert-Mühlig, Präsidentin des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker, Bundesverband e.V. und 2. Vorständin des Dachverbandes Deutscher Heilpraktikerverbände e.V., eingeladen. Ihrem Einwand, wenn schon über den Beruf gesprochen wird, solle doch auch ein Vertreter*in des Berufstandes anwesend sein, wurde vom Veranstalter entsprochen. Der Titel ihres Beitrags lautete: "85 Jahre Heilpraktikergesetz in der Retroprospektive des Berufsstandes der Heilpraktiker." Mit belegbaren Zahlen machte sie deutlich, dass es dem NS-Regime letztendlich um die Abschaffung der Heilpraktiker ging, und benannte dies ganz offen als ein Trauma des Berufsstandes: "Für den Berufsstand war das rechtlich verordnete Aussterbenlassen ein Trauma, das bis heute nachwirkt. Reflexartig taucht bei jeder Thematik, die offiziell den Heilpraktiker-Beruf betrifft, die angstvolle Frage auf WERDEN WIR JETZT ABGESCHAFFT? Ein kollektives Trauma, das nun wahrlich nicht von Geschichtsvergessenheit zeugt, denn die Nationalsozialisten wollten die Heilpraktiker endgültig abschaffen!"
Der gesamte Vortrag kann hier nachgelesen werden.
Die Forschungsarbeit von Herrn Dr. Pierre Pfütsch (Robert Bosch Stiftung/Stuttgart) hatte folgendes Thema: „Heilpraktiker im Nationalsozialismus - Stand und Perspektiven historischer Forschung“. Dr. Pfütsch zeigte anhand vieler Zitate von damaligen Akteuren wissenschaftlich auf, wie die Haltung der Nationalsozialisten zum Berufsstand war. So war es zwar zu Beginn noch so, dass die Nationalsozialisten dem Heilpraktikerberuf wohlwollend gegenüberstanden. Das änderte sich jedoch grundsätzlich: Neben dem Beruf des Arztes sollte es keinen zweiten selbstständigen Heilberuf. Somit bewies diese wissenschaftliche Darstellung, dass die These von Herrn Dr. Klein nicht haltbar ist.
Auch der Beitrag von PD Dr. Florian G. Mildenberger zum Thema „Homöopathen und das NS-Regime“ zeigte auf, dass das NS-Regime deutlich auf Distanz zur Homöopathie gegangen war. Der auf vorwiegend rechtliche Aspekte bezogene Beitrag von Prof. Dr. Christof Stock war sehr spannend. Neben dem Bemühen die unzureichende Rechtslage des Gesetzes aufzuzeigen, zeigte insbesondere die derzeitige Entwicklung und Einführung von sektions-bezogenen weiteren Heilpraktikerbezeichnungen für z.B. Psychotherapie oder Physiotherapie, dass es sehr kompliziert sei dieses Gesetz einfach abzuschaffen. Prof. Dr. Stock ist zudem der Verfasser des Rechtsgutachtens von 2021 zum Heilpraktikerberuf, welches sehr unterschiedlich bewertet wird. Er selbst schlug eine Reform des Heilpraktikergesetzes vor, da es aus sich aus seiner juristischen Sicht nicht um ein vollwertiges Gesetz handelt.
Sehr informativ war der Beitrag von Frau Prof. Annette Kerckhoff in Bezug auf die Frauen der historischen Naturheilkunde. Sie zeichnete ein umfassendes Bild der verschiedenen Frauentypen, die sich im Bereich Naturheilkunde im Laufe der Jahrhunderte einen Namen gemacht hatten. Tatsächlich konnte nur bei Maria Treben (Autorin von „Gesundheit aus der Apotheke Gottes“) eine NSDAP Mitgliedschaft nachgewiesen werden. Auch bei diesem Beitrag wurde deutlich, dass viele der aktiven Frauen eher unpolitisch agierten und teils sogar vom NS-Staat verfolgt wurden.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass das NS-Regime mitnichten eine Förderung des HP- Berufes beabsichtigte. Im Gegenteil. Das Gesetz wurde letztlich mit der Absicht zur Abschaffung des Berufs erlassen. Dies sollte durch ein Aus- und Fortbildungsverbot erfolgen. Das eigentliche Ziel war es, die Heilpraktiker*innen nur kurzfristig einzubinden, um ihr Wissen dann in den konventionellen Medizinbereich zu überführen. Auch damals schon diente diese Art von integrativer Medizin nicht dazu, Heilpraktiker*innen zu fördern.
Am Ende der Veranstaltung erkannten einige der Beteiligten im privaten Austausch, dass die Gemengelage komplexer sei, als ursprünglich vermutet. Wünschenswert wäre es, wenn dies auch öffentlich als Resümee von Veranstalterseite aus bekannt gegeben würde. Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien waren trotz Einladung nicht vor Ort. Meiner Einschätzung nach ist das öffentliche Interesse an den ständigen Versuchen, die Heilpraktiker in die rechte Ecke zu stellen, eher gering.
Eine Bildstrecke der Veranstaltung kann auf dem ANME-Instagram Account eingesehen werden.